PROJEKT

hrc_titel.gif
Die Toten von Paris
Eine melancholische Komödie von Michael Amon

balken.gif

erschienen November 1999 in der Edition Reinhard Deutsch

balken.gif

Projektbeschreibung

Die dramaturgische Grundidee dieses Theaterstückes baut auf einer bemerkenswerten Tatsache auf: drei der in ihrer „Disziplin“ bedeutendsten deutschsprachigen Schriftsteller dieses Jahrhunderts, die sich alle drei noch dazu als Österreicher empfanden, sind in Paris gestorben.
Sie treffen zufällig in einem Kaffeehaus, offenbar im Jenseits, aufeinander. Niemand ist dort - außer sie selbst und ein reichlich mürrischer Ober. Von der gepriesenen Gemütlichkeit des Wiener Kaffehauses ist nichts zu bemerken. Um der Hoffnungslosigkeit und Kälte des Ortes zu entgehen, beschließen sie, gemeinsam ein Theaterstück zu schreiben, ein Theaterstück, mit dem sie ihre Lebensläufe neu und besser erschaffen, sich selbst neu erfinden.
Jeder der drei Autoren schreibt seinen Teil seinem jeweiligen Stil entsprechend: Roth in epischer Breite, Celan lyrisch entrückt, Horvath hoch dramatisch und effektvoll. Trotzdem: sie landen bei ihren alten Lebensläufen, es gelingt ihnen nicht, sich ein neues Leben zu erschreiben.
Dieses Stück ist eines über Liebe und Tod, über die Literatur und das Emigrantentum; ein Stück über Einsamkeit und Flucht, über die Lächerlichkeit der Existenz und das trotzdem verbliebene Lachen der Menschen. Es ist ein Stück über eine Welt ohne Gott und über ein Jenseits, in dem Gott sich ebenfalls nicht blicken läßt.

Drei Menschen treffen einander lange nach ihrem Tod.
Sie treffen einander irgendwo in einer anderen Welt.
Unter einer Brücke? Neben einem Wasser? In ewiger Nacht? In einem Kaffeehaus!
Daß sie einst Schriftsteller waren, zählt nur mehr am Rande. Daß sie tot sind: eine Nebensächlichkeit.
Daß sie Menschen waren - beinahe vergessen, in diesem Olymp der Dichter deutscher Zunge.
Und doch: sie fühlen noch, leiden noch immer und versuchen, sich ein neues Leben zu erschreiben.
Aber sie bleiben unentrinnbar eingesperrt in den immer gleichen Lauf ihrer Schicksale.
Sie lehnen sich nicht mehr auf.

So treffen sie einander mehrere Abende, gehen der unausweichlichen Wiederholung ihrer Schicksale gefaßt und mit ein wenig Ironie entgegen.
Über den Tod und über das Leben sprechen sie - wovon sonst!
Über die Literatur und die Aussichtslosigkeit des Wortes.
Daß in diesem seltsamen Jenseits Gott nicht auftaucht, verwundert niemanden wirklich, und daß der Oberkellner dieses eigenartigen Kaffeehauses seinen unerwünschten Gästen den Aufenthalt im Jenseits nicht gerade versüßt - wen wundert es!

Seltsamerweise starben drei österreichische Menschen in Paris. Das wissen wir.
Warum - das wissen wir nicht.
Wir haben bloß Ahnungen.
Dieses Stück ist eine davon.

balken.gif

Aus dem Stück:

Horvath: Wir schreiben etwas, das alles ist: ein Roman, ein Stück, ein Gedicht - neues Leben. Wir erfinden uns neu, erfinden uns eine neue Zeit und ein neues Leben.     Roth: Geld braucht man immer auf dieser Welt. Man kann ohne Geist überleben, ohne Anstand, ohne Charakter. Ohne Geld kann man nicht überleben.
Celan: Was soll ich Ihnen erzählen von der Bukowina, wo die Waldkarpaten sich öffneten in sanfte, flache Täler? Soll ich Ihnen erzählen von den Buchenwäldern, denn Bukowina heißt Buchenland? Es war eine Gegend in der Menschen und Bücher lebten. Soll ich Ihnen von dem jüdischen Brauch, Steinchen auf die Gräber der Verstorbenen zu legen, erzählen? Und davon, daß dann kein Stein auf dem anderen blieb?   Roth: Und Gott ist womöglich nichts anderes als das Lachen des Lesers. Wir sind hier und wissen nicht, ob wir sind.
Ober: Ich sagte doch, Gott kommt nie. Jeder hier weiß das, nur Sie nicht. Gerüchte kündigen ihn an. Man hört dieses und jenes. Aber er kommt nicht. Er ist noch nie gekommen. Es ist einer seiner berüchtigten Scherze, so zu tun, als ob er allgegenwärtig wäre, und dann nirgends zu sein. Gottes wahre Kunst besteht darin, überall nicht zu sein.
 
     
     
         

Roth: Ich habe es vorgezogen, für mich selbst zu schreiben.
Was bietet das Leben? Nichts!
Was bietet die Literatur? Alles!
Einst erschrieb ich mir mein Leben mit dieser Feder!
Heute erschreibe ich mir mit dieser Feder das, was von meinem Leben übergeblieben ist: ein wenig Abenteuer, ein paar Hoffnungen, der letzte Rest Verzweiflung, kaum noch Glauben, und ein Ende nach dem anderen, ganz ohne Unterschied. Ich habe es vorgezogen, mein Leben gegen Literatur zu tauschen.

 

 

 

 

 

 

Der Ober: Ich habe nur zwei Gläschen getrunken, weil es mich traurig macht, daß gerade Sie auf Gott hereingefallen sind. Gott denkt nicht daran, mir auch nur ein Jahr zu schenken. Er gibt nur, um zu nehmen.

 
 
     
             
    Roth: Wenn ein Schriftsteller einen schlechten Bettelbrief schreibt, werden Sie sagen: er hungert zu Recht. Ein Schriftsteller kann sich also durchaus einmal einen schlechten Roman leisten, einen schlechten Bettelbrief kann er sich nicht leisten. Und bedenken Sie weiters, was Sie an einem sehr guten Roman verdienen können, und um wieviel einträglicher selbst ein mittelmäßiger aber glaubwürdiger Bettelbrief ist!
   
             
  Horvath: Die Welt ist voller Geister, voller Dämonen. Die Welt ist voller Vorahnungen, voll von Hinweisen. Das Spinnennetz hält uns gefangen. Die Welt ist voller Unfälle. Wir zappeln im Netz und eines Tages reißt es, und wir fallen und fallen und fallen ...
Warum hat die Zigeunerin mich nicht vor Paris gewarnt? Ich hätte nie hierherkommen dürfen.
  Celan: Es gibt keine Fahne, die mich nicht an die eine, alles erobernde, erinnert.
Es gibt keine Masse, die mich nicht an die eine, alles vernichtende, erinnert.
Es gibt kein Leben, das mich nicht an das eine, verlorene, erinnert.
Das Blut
geronnen zu Staub
wird alles genannt
und ist: nichts.
Verlieren das Leben in den Schlachthäusern der Welt
und werden verloren genannt, bloß weil da nichts zu gewinnen war.
Wir werden weinen wie immer und sterben wie immer - bloß weil wir Menschen sind, voll unbarmherziger Schuld und fernab aller Gnade.
 
     
     

Horvath: Haben Sie g'wußt, daß ich dem Nazi-Schriftstellerverband beigetreten bin? Mitgliedsnummer 875. Und bei der Union Nationaler Schriftsteller war ich auch. Irgendwie habe ich die unerklärbare Hoffnung gehabt, auch in einem nationalsozialistischen Deutschland veröffentlichen zu dürfen. Ich mußte schließlich von irgendetwas leben.
Roth: Seit wann ist es so, daß ein Schriftsteller sagen darf: ich muß lügen, weil meine Frau leben und Hüte tragen muß?

 

 

 

 

     
  Horvath:Roth, Sie trinken zuviel.
Roth: Ich trinke zu wenig.
Solange ich noch irgendein Gesicht sehe, habe ich zu wenig getrunken.
Solange ich noch einen klaren Gedanken fassen kann, habe ich zu wenig getrunken.
Solange ich noch weiß, daß dieser verdammte Verlag von mir zwei Bücher erwartet, solange habe ich zu wenig getrunken.
Sie müssen trunken sein von dieser Welt, mein Lieber, um sie zu ertragen. Der barmherzige Geist des Alkohols schenkt Ihnen das wahre Leben. Das wahre Leben ist Vergessen. Das wahre Leben ist, nichts mehr wahrzunehmen.
   
  Roth: Ich gehe sterben, weil ich zuviel gesehen habe.
Ich gehe sterben, weil meine Augen sich weigern, blind zu sein.
Ich gehe sterben, weil mein Verlag von mir verlangt, daß ich einen Roman schreibe. Weil mein Verlag von mir verlangt, mich nicht zu betrinken. Narren! Ich sterbe, weil das Leben zu realistisch ist. Man gibt mir keinen Vorschuß mehr, weil ich mich sonst betrinke.
 
   
        Roth: Die Welt wird immer voll mit Emigranten sein. In 95 Prozent der Staaten ist man Ausländer. Der Mensch ist immer auf der Flucht vor seinesgleichen. Und wenn er es einmal schafft, irgendwo zu Hause zu sein, kann man Gift darauf nehmen, er produziert wieder Ausländer und Emigranten.
Horvath: Es schaut wirklich so aus, als sei es eine wesentliche menschliche Eigenschaft, Ausländer zu sein.
Roth: Vielleicht gibt es darum so viele Eroberer: die wollen nie mehr irgendwo Ausländer sein.
Celan: Flucht hat kein Ziel.
Flucht hat keine Ende.
Der typische Mensch ist auf der Flucht.
Horvath: Der typische Mensch ist Emigrant.
Roth: Der typische Mensch ist heimatlos.

Copyright Editon Reinhard Deutsch 1999

balken.gif