Die dramaturgische Grundidee
dieses Theaterstückes baut auf einer bemerkenswerten Tatsache
auf: drei der in ihrer Disziplin bedeutendsten deutschsprachigen
Schriftsteller dieses Jahrhunderts, die sich alle drei noch dazu
als Österreicher empfanden, sind in Paris gestorben.
Sie treffen zufällig in einem Kaffeehaus, offenbar im Jenseits,
aufeinander. Niemand ist dort - außer sie selbst und ein
reichlich mürrischer Ober. Von der gepriesenen Gemütlichkeit
des Wiener Kaffehauses ist nichts zu bemerken. Um der Hoffnungslosigkeit
und Kälte des Ortes zu entgehen, beschließen sie, gemeinsam
ein Theaterstück zu schreiben, ein Theaterstück, mit
dem sie ihre Lebensläufe neu und besser erschaffen, sich
selbst neu erfinden.
Jeder der drei Autoren schreibt seinen Teil seinem jeweiligen
Stil entsprechend: Roth in epischer Breite, Celan lyrisch entrückt,
Horvath hoch dramatisch und effektvoll. Trotzdem: sie landen bei
ihren alten Lebensläufen, es gelingt ihnen nicht, sich ein
neues Leben zu erschreiben.
Dieses Stück ist eines über Liebe und Tod, über
die Literatur und das Emigrantentum; ein Stück über
Einsamkeit und Flucht, über die Lächerlichkeit der Existenz
und das trotzdem verbliebene Lachen der Menschen. Es ist ein Stück
über eine Welt ohne Gott und über ein Jenseits, in dem
Gott sich ebenfalls nicht blicken läßt.
Drei Menschen treffen einander
lange nach ihrem Tod.
Sie treffen einander irgendwo in einer anderen Welt.
Unter einer Brücke? Neben einem Wasser? In ewiger Nacht?
In einem Kaffeehaus!
Daß sie einst Schriftsteller waren, zählt nur mehr
am Rande. Daß sie tot sind: eine Nebensächlichkeit.
Daß sie Menschen waren - beinahe vergessen, in diesem Olymp
der Dichter deutscher Zunge.
Und doch: sie fühlen noch, leiden noch immer und versuchen,
sich ein neues Leben zu erschreiben.
Aber sie bleiben unentrinnbar eingesperrt in den immer gleichen
Lauf ihrer Schicksale.
Sie lehnen sich nicht mehr auf.
So treffen sie einander
mehrere Abende, gehen der unausweichlichen Wiederholung ihrer
Schicksale gefaßt und mit ein wenig Ironie entgegen.
Über den Tod und über das Leben sprechen sie - wovon
sonst!
Über die Literatur und die Aussichtslosigkeit des Wortes.
Daß in diesem seltsamen Jenseits Gott nicht auftaucht, verwundert
niemanden wirklich, und daß der Oberkellner dieses eigenartigen
Kaffeehauses seinen unerwünschten Gästen den Aufenthalt
im Jenseits nicht gerade versüßt - wen wundert es!
Seltsamerweise starben drei
österreichische Menschen in Paris. Das wissen wir.
Warum - das wissen wir nicht.
Wir haben bloß Ahnungen.
Dieses Stück ist eine davon.
Horvath: Wir schreiben etwas, das alles ist: ein Roman, ein Stück, ein Gedicht - neues Leben. Wir erfinden uns neu, erfinden uns eine neue Zeit und ein neues Leben. | Roth: Geld braucht man immer auf dieser Welt. Man kann ohne Geist überleben, ohne Anstand, ohne Charakter. Ohne Geld kann man nicht überleben. | |||||
Celan: Was soll ich Ihnen erzählen von der Bukowina, wo die Waldkarpaten sich öffneten in sanfte, flache Täler? Soll ich Ihnen erzählen von den Buchenwäldern, denn Bukowina heißt Buchenland? Es war eine Gegend in der Menschen und Bücher lebten. Soll ich Ihnen von dem jüdischen Brauch, Steinchen auf die Gräber der Verstorbenen zu legen, erzählen? Und davon, daß dann kein Stein auf dem anderen blieb? | Roth: Und Gott ist womöglich
nichts anderes als das Lachen des Lesers. Wir sind hier und wissen
nicht, ob wir sind. Ober: Ich sagte doch, Gott kommt nie. Jeder hier weiß das, nur Sie nicht. Gerüchte kündigen ihn an. Man hört dieses und jenes. Aber er kommt nicht. Er ist noch nie gekommen. Es ist einer seiner berüchtigten Scherze, so zu tun, als ob er allgegenwärtig wäre, und dann nirgends zu sein. Gottes wahre Kunst besteht darin, überall nicht zu sein. |
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Roth: Ich habe es vorgezogen, für mich selbst
zu schreiben.
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Der Ober: Ich habe nur zwei Gläschen getrunken, weil es mich traurig macht, daß gerade Sie auf Gott hereingefallen sind. Gott denkt nicht daran, mir auch nur ein Jahr zu schenken. Er gibt nur, um zu nehmen. |
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Roth: Wenn ein Schriftsteller einen schlechten Bettelbrief schreibt, werden Sie sagen: er hungert zu Recht. Ein Schriftsteller kann sich also durchaus einmal einen schlechten Roman leisten, einen schlechten Bettelbrief kann er sich nicht leisten. Und bedenken Sie weiters, was Sie an einem sehr guten Roman verdienen können, und um wieviel einträglicher selbst ein mittelmäßiger aber glaubwürdiger Bettelbrief ist! | ||||||
Horvath: Die Welt ist voller
Geister, voller Dämonen. Die Welt ist voller Vorahnungen,
voll von Hinweisen. Das Spinnennetz hält uns gefangen. Die
Welt ist voller Unfälle. Wir zappeln im Netz und eines Tages
reißt es, und wir fallen und fallen und fallen ... Warum hat die Zigeunerin mich nicht vor Paris gewarnt? Ich hätte nie hierherkommen dürfen. |
Celan: Es gibt keine Fahne,
die mich nicht an die eine, alles erobernde, erinnert. Es gibt keine Masse, die mich nicht an die eine, alles vernichtende, erinnert. Es gibt kein Leben, das mich nicht an das eine, verlorene, erinnert. Das Blut geronnen zu Staub wird alles genannt und ist: nichts. Verlieren das Leben in den Schlachthäusern der Welt und werden verloren genannt, bloß weil da nichts zu gewinnen war. Wir werden weinen wie immer und sterben wie immer - bloß weil wir Menschen sind, voll unbarmherziger Schuld und fernab aller Gnade. |
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Horvath: Haben Sie g'wußt, daß ich dem
Nazi-Schriftstellerverband beigetreten bin? Mitgliedsnummer 875.
Und bei der Union Nationaler Schriftsteller war ich auch. Irgendwie
habe ich die unerklärbare Hoffnung gehabt, auch in einem
nationalsozialistischen Deutschland veröffentlichen zu dürfen.
Ich mußte schließlich von irgendetwas leben.
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Horvath:Roth, Sie trinken zuviel. Roth: Ich trinke zu wenig. Solange ich noch irgendein Gesicht sehe, habe ich zu wenig getrunken. Solange ich noch einen klaren Gedanken fassen kann, habe ich zu wenig getrunken. Solange ich noch weiß, daß dieser verdammte Verlag von mir zwei Bücher erwartet, solange habe ich zu wenig getrunken. Sie müssen trunken sein von dieser Welt, mein Lieber, um sie zu ertragen. Der barmherzige Geist des Alkohols schenkt Ihnen das wahre Leben. Das wahre Leben ist Vergessen. Das wahre Leben ist, nichts mehr wahrzunehmen. |
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Roth: Ich gehe sterben, weil
ich zuviel gesehen habe. Ich gehe sterben, weil meine Augen sich weigern, blind zu sein. Ich gehe sterben, weil mein Verlag von mir verlangt, daß ich einen Roman schreibe. Weil mein Verlag von mir verlangt, mich nicht zu betrinken. Narren! Ich sterbe, weil das Leben zu realistisch ist. Man gibt mir keinen Vorschuß mehr, weil ich mich sonst betrinke. |
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Roth: Die Welt wird immer voll mit Emigranten
sein. In 95 Prozent der Staaten ist man Ausländer. Der Mensch
ist immer auf der Flucht vor seinesgleichen. Und wenn er es einmal
schafft, irgendwo zu Hause zu sein, kann man Gift darauf nehmen,
er produziert wieder Ausländer und Emigranten. Horvath: Es schaut wirklich so aus, als sei es eine wesentliche menschliche Eigenschaft, Ausländer zu sein. Roth: Vielleicht gibt es darum so viele Eroberer: die wollen nie mehr irgendwo Ausländer sein. Celan: Flucht hat kein Ziel. Flucht hat keine Ende. Der typische Mensch ist auf der Flucht. Horvath: Der typische Mensch ist Emigrant. Roth: Der typische Mensch ist heimatlos. |