Bruno Kreisky-Anerkennungspreis
für das politische Buch 2005

Kollateralschäden

Essays zur blau-schwarzen Wende in Österreich

Erscheinungstermin: 2. September 2005

ISBN 3-902282-088, 106 Seiten, brosch, Euro 11,90

Prolog

Ein Land, in dem Karl Heinz Grasser lange Zeit einer der beliebtesten Politiker war, und in dem Robert Menasse als besonders scharfsinniger Beobachter gelobt wird, ein solches Land hat ein Problem.

Wenn dann auch noch Wolfgang Schüssel als Meistertaktiker gilt, Rudolf Burger und Konrad Liessmann die Hausphilosophen spielen, Ernst Strasser ein Weilchen als Liberaler durchgehen konnte, und Frau Haubner oder Herr Gorbach als gemäßigte Politiker angepriesen werden, dann hat ein solches Land mehr als nur ein Problem.

Wir haben einen Rundfunk, der an den Schüsselstellen mit Schlüsselleuten (oder waren es Schüsselleute an Schlüsselstellen?) besetzt und fortan als überparteilich dargestellt wurde. Wir haben eine entpolitisierte Verstaatlichte Industrie, in der sich Papierindustrielle ihr privates DKT errichtet haben, jenes kleine, feine Wirtschaftsspiel, das in Deutschland Monopoly, aber bei uns „Das Kaufmännische Talent” heißt. Daß es den (noch nicht) beteiligten Herrschaften ein wenig an eben diesem Talent zu mangeln scheint, ist eine der häufig beobachtbaren Ironien der Geschichte. Natürlich versuchen sie beständig, den Zufall auszuschalten, der in den genannten Spielen in Form eines Würfels für ein klein wenig Gerechtigkeit im Verteilungskampf sorgen soll – sie nennen diesen Versuch übrigens „Entpolitisierung”. Ganz gelingt es noch nicht, denn die Restbestände an zivilisierter Öffentlichkeit, die es in den Medien noch gibt, sind vom blinden Wirken des Zufalls nicht immer zu überzeugen. Eines Zufalls, der dazu führte, daß Freunde von Herrn Prinzhorn und Gönner von Herrn Grasser beinahe in die Lage versetzt worden wären, sich die Restbestände an profitablem Staatseigentum zu Billigstpreisen unter den Nagel zu reißen. Da wurden Götter beschworen (Minerva), Homepages gebastelt und Steuerfreiheiten ersonnen, von denen der viel zitierte kleine Mann nicht einmal zu träumen wagte.

Angeblich ist Österreich die kleine Welt, in der die große ihre Probe hält. Aber es darf bezweifelt werden, daß diese These stimmt. Es ist die kleine Welt Österreichs, die hier statt hält. Es gibt ja bekanntlich zwei Arten von Chauvinismus, beide gleich unerträglich: die eine Form ist jene aufdringliche Art von Patriotismus, die dauernd kurzschlußartig irgendwelche Schulterschlüsse verlangt, dort böses Ausland, hier gutes Inland. Sechs Milliarden Leute und nur 8 Millionen Österreicher, da kann einem schon bange ums Herz werden. Da braucht es dann wirklich eine Verfassung, in der uns der liebe Gott beisteht. Österreich den Österreichern. Denn Österreich ist besonders.

Die zweite Art von Chauvinismus wird vor allem in der zeitgenössischen Literatur gerne gepflegt: Österreich der besonders ekelerregende Sonderfall, um nicht zu sagen Sondermüll. Nie in der Demokratie angekommen, versumpft im Konsens, während ringsum die zivilgesellschaftlich so wertvolle Konfliktdemokratie blühte und gedieh, bunte Wiesen voll neuer Ideen wachsen ließ, und dabei komischerweise rundum auch nur neoliberale Dogmen wucherten. Dieser Chauvinismus zeichnet sich dadurch aus, Österreich für besonders verkommen, besonders rückständig und überhaupt für besonders zu halten. Denn Österreich ist besonders.

Aber Österreich ist weder ein Sonderfall noch besonders. Es gibt landesspezifische Eigenheiten, niemand würde das bestreiten. Aber der amerikanische Redneck, der italienische Berlusconi-Wähler, der französische Le Pen-Adorant – sie haben die selben Wurzeln wie ihre österreichische Regionalausgabe. Sie unterscheiden sich äußerlich in Sprache, Kleidung, Manieren. Ziemlich sicher auch im Phlegma. Und doch sind sie Triebe am selben Stamm. Schüssel, Berlusconi, Haider – wie sie alle auch heißen: Blätter am selben Bush, soviel sie auch im Detail unterscheiden mag.

Mit der oft fehlerhaften Darstellung der Funktionsmechanismen des Landes haben unsere amtlich beeidigten Österreich-Erklärer ihren Beitrag dazu geleistet, das Land für das „Reform”werk Schüssels weichzuklopfen. Man darf vermuten, daß dies nicht ihre Absicht war, und vor allem, daß sie etwas anderes bekommen haben, als sie sich erwartet und erhofft hatten. Das ändert aber nichts daran, daß sie ihr Scherflein beigetragen haben zu dem, was wir nun „Wende” nennen. Und diese österreichische Wende war tatsächlich eine, wenn man sie mit der einstigen von SPD-Schmidt zu CDU-Kohl vergleicht. Denn Kohl war der Inbegriff der Kontinuität. Die einzige Änderung bestand in der konsequenten Verkohlung der BRD, der Durchdringung der Republik mit Kohlschen Vertrauensleuten, das „System Kohl” eben. Dieses System diente jedoch nicht der strukturellen Veränderung des sozialen Systems BRD, sondern lediglich der persönlichen Machtabsicherung von Helmut Kohl. Die wesentlichen Komponenten des Sozialstaates oder des demokratischen Gefüges blieben unverändert.

Die österreichische „Wende” verdient diesen Namen hingegen zweifellos. Auf den folgenden Seiten soll versucht werden darzustellen, daß diese Wende nicht allein von konservativen Think-Tanks ersonnen wurde, und nicht allein von den Werbestrategen Schüssels den richtigen Drall bekam. Und schon gar nicht von Jörg Haider (obwohl dieser ein wesentlicher Katalysator dieser Vorgänge war). Einen ganz bedeutenden (und bis jetzt zu wenig „gewürdigten”) Beitrag leisteten Kommentatoren und Essayisten, die zu Recht keineswegs in großer politischer Nähe zu den Konservativen vermutet wurden. Von ihren Fehleinschätzungen, ihren teilweise grotesken Irrtümern soll im folgenden die Rede sein. Ein Teil dieser Irrtümer ist wohl der Tatsache geschuldet, daß der Diskurs in diesem Land nur in ganz wenigen Medien und vor einer dadurch eingeschränkten Öffentlichkeit stattfindet. Kaum ist eine Sau durchs Dorf gejagt, zieht die Essayisten-Karawane weiter. Es entsteht keine kontinuierliche Diskussion, Ende der Debatte meist innerhalb weniger Tage nach zwei oder drei Artikeln. Ernsthafter Austausch von Argumenten oder gar das Revidieren von Standpunkten ist ohnedies nicht vorgesehen. Wichtig ist bloß, auf den gedruckten Seiten Recht zu haben.

Dieser Kurzatmigkeit der öffentlichen Diskussion versucht das vorliegende Buch ein wenig entgegenzuwirken. Neben der Konzentration auf drei der wesentlichen „Groß”-Essayisten sollen aber auch einige andere Punkte zur Sprache kommen. Etwa das Versagen der Sozialdemokratie – sowohl ihr Unvermögen in der praktischen Politik als auch die Unfähigkeit, während der Jahre des Haiderschen Aufstiegs inhaltliche Alternativen zu entwickeln. Dazu ist ein kleiner Rückblick in die Vergangenheit ebenso nötig wie ein kurzer Abstecher zur Sozialpartnerschaft und zu Fragen der europäischen Verfaßtheit (und Verfassung). Auch die Tatsache, daß in die „linke” Argumentation beträchtliche Teile des neoliberalen Gedankengutes eingesickert sind, kann nicht unbeachtet bleiben.

Nicht alles, was hier geschrieben steht, ist gänzlich neu, sondern wurde vom Autor im Laufe der vergangenen eineinhalb Jahrzehnte in verschiedenen österreichischen Medien (vor allem im Standard und im leider verblichenen Wiener Journal) bereits zur Diskussion gestellt. Hier aber findet sich der Versuch einer Gesamtschau. Auch eigene Irrtümer sollen dabei zur Sprache kommen, und damit eine Art Traditionsbruch stattfinden, da Essayisten – wie erwähnt – niemals irren. Die Gesetze der Medienöffentlichkeit lassen das Eingeständnis von Irrtümern nicht zu. Und diese Gesetze verlangen den Essayisten Zuspitzungen ab, die mitunter die Substanz des Inhalts verändern. Die gelungene Formulierung siegt oft über den konzisen Denkprozeß. Der „geile” Sager ist da allemal wichtiger als die inhaltliche Stringenz. Die provokante These ist meist wichtiger als ihre Triftigkeit. In diesem Wirkungsfeld unterschiedlicher Kräfte waren die Ergebnisse dieser „Diskurse” oft ebenso zweifelhaft wie ihre Inhalte. Und so konnte es geschehen, daß manche unserer Kommentatoren zu unfreiwilligen geistigen Wegbereitern der österreichischen Wende werden konnten und diese auch noch bejubelten. Daß dann mitunter auch noch der Hegelsche Weltgeist beschworen wurde, um den eigenen, unsäglichen Sager zu beschönigen, macht die Sache nicht besser.

Einige der Prozesse vor und nach der Wende nachzuzeichnen ist die erklärte Absicht des vorliegenden Buches. Unmöglich, dabei auf alle Einzelheiten einzugehen. Und wohl ebenso unmöglich dabei nicht erneut Fehler zu begehen oder Verkürzungen und vielleicht auch die eine oder andere Unschärfe in der Argumentation in Kauf zu nehmen. Auf provokante Thesen muß mitunter ebenso provokant geantwortet werden. Der verkürzten Argumentation kann oft nur auf die gleiche Weise begegnet werden. Trotzdem hegt der Autor die Hoffnung, selbst ein paar Fehler weniger zu begehen, ein paar Irrtümern weniger zu unterliegen als die von ihm Kritisierten. Diese kleine Eitelkeit möge man ihm gestatten und nachsehen. Nachsicht ist schließlich eine der wichtigen Tugenden der Demokratie. Und wem die eine oder andere Formulierung zu ironisch erscheint – hier soll nie auf Menschen gezielt werden, bloß auf Ideen und Gedanken. Auf dem Schlachtfeld des Diskurses gibt es keine Sieger und keine Besiegten, sondern bloß mühsam errungene Fortschritte in der Erkenntnisfähigkeit.

Inhaltverzeichnis (vorläufig)

Prolog

Teil 1 – Vorbedingungen

1. Der Kollateralschaden als Wille und Vorstellung
2. Die Wende hat Verspätung / Auch Loslassen will gelernt sein
Wahre Macht
Kollateralschäden der Regierungsbeteiligung
3. Österreich als Idiotenhügel?
4. Das war die Sozialpartnerschaft?
5. Die EU als Projekt selbsternannter Eliten – Von Kurfürsten & anderen Leuten
6. Extremistischer Wirtschaftsliberalismus, Asterix und die „Linke”
7. Slim fast mit Norbert Gstrein? – Ein Autor und das Politische/Eine Symptomatik

Teil 2 – Wegbereiter

1. Jenseits von Gut und Böse – Konrad Liessmann und „Der gute Mensch von Österreich”
2. Ein trauriger Philosoph – Rudolf Burger und das Vergessen
3. Ein virtueller Essayist – Robert Menasse und die große Freude
Dummheit und andere Irrtümer
Menasse als Synthese von Haider und Hegel
Menasse, Waggerl und Magic Christian
4. Das Bürgertum und der Haut-Goût
5. Wien im ewigen Vormärz?

Teil 3 – Ergebnisse

1. Alarmismus versus Coolness – Von Gänsen und Nebbochanten
2. Kontinuitäten und Brüche
3. Kultur des Lügens
4. Der Dickkopffalter und die Zivilgesellschaft
5. Work in regress – Was die Wende wendete

Kleines Kompendium erwähnter Personen

Link zum Verlag:

verein alltag verlag